Der Abs. 1, SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) schreibt es unmissverständlich fest: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Das gilt auch für geflüchtete Kinder und Jugendliche. Zusätzlich regelt das „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ seit 2015 die bundesweite und landesweite Verteilung unbegleiteter Flüchtlinge und deren Inobhutnahme.
Öffentliche und freie Träger müssen entsprechend Unterbringungsmöglichkeiten und Förderungen vorhalten. Das allein kann nicht reichen. Auf dem gerade beendeten 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag konnte man schon an der Fülle der Veranstaltungen zu diesem Thema erkennen, was die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland zu diesem Thema umtreibt. Fragen wie Kinderschutz, physische wie psychische Gesundheit, Kultur- und Sprachvermittlung, Fragen an Standards der Kinder- und Jugendhilfe und an die Qualifikation von Fachkräften und Helferinnen und Helfern wurden intensiv diskutiert.
Ein europäisches Thema
Die Situation geflüchteter Kinder und Jugendlicher ist aber nicht nur ein deutsches Anliegen. Fragen der deutschen Kinder- und Jugendhilfe – hoch qualifiziert, gut organisiert, gesetzlich abgesichert und finanziell unterstützt – stellen sich erst recht in Ländern, in denen es an entsprechenden Unterstützungssystemen fehlt. Auch deswegen forderte die Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendliche (AGJ) schon im Dezember 2015, „dass die Europäische Union im Rahmen ihrer Möglichkeiten umfassende Maßnahmen ergreift, um die Chancen und (Lebens-)Perspektiven von jungen Flüchtlingen nachhaltig zu verbessern und deren langfristige gesellschaftliche Integration zu befördern“. Unter anderem sollten die „verschiedenen EU-Förderprogramme, wie z. B. Erasmus+ und die Europäischen Strukturfonds, […] explizit und verstärkt für die Zielgruppe der Flüchtlinge sowie für die Arbeit mit jungen Flüchtlingen genutzt werden“. (Das Eckpunktepapier der AGJ als PDF-Download).
3-Jahres-Projekt von Erasmus+ JUGEND IN AKTION
Nun haben sich neun Nationale Agenturen des Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION zusammengetan, um ein dreijähriges Projekt durchzuführen, mit dem die Jugendhilfe in der Arbeit mit jugendlichen Geflüchteten, Migrant/-innen und Asylbewerber/-innen gestärkt werden soll. Im Zentrum von „Becoming a part of Europe“ stehen die Fragen, welchen Beitrag die Jugendhilfe zur Integration dieser Zielgruppen leistet und wie die europäische Zusammenarbeit die entsprechenden Prozesse unterstützen kann. Im Rahmen des Projekts geht es sowohl um den Austausch und die europäische Verbreitung guter Praxis als auch um die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung neuer Ansätze und Methoden. Um die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, werden neben Expert/-innen, Fachkräften und Forschung auch junge Geflüchtete am Projekt beteiligt sein.
Zielsetzung des Projekts ist es, auf europäischer Ebene Aktivitäten der Jugendhilfe, Ansätze der non-formalen Jugendbildung und inklusive Praktiken zu dokumentieren, damit zugänglich zu machen und, wo nötig, neu zu entwickeln. Es ist vorgesehen, mit einem bottom-up-Prozess politische Empfehlungen zur Integration von und non-formaler Jugendbildung mit jugendlichen Migrant/-innen, Geflüchteten und Asylsuchenden zu erarbeiten.
Expertengruppen eingerichtet
Die aufeinander aufbauenden Projektphasen und Aktivitäten sollen zunächst auf nationaler und teilweise auf europäischer Ebene stattfinden. Dafür haben die beteiliugten Nationalen Agenturen in allen Ländern Expertengruppen eingerichtet, die die bestehende Praxis der Jugendhilfe im Feld der Integration von jugendlichen Geflüchteten, Migrant/-innen und Asylbewerber/-innen sammeln, diskutieren und beschreiben.
Die Beispiele guter Praxis aller Expertengruppen werden dazu auf europäischer Ebene beforscht. Erste Zwischenergebnisse sollen auf einer Europäischen Peer Learning-Konferenz im September 2017 vorgestellt und diskutiert werden. Die weitere Arbeit soll sich, darauf aufbauend, auf vier noch festzulegenden thematischen Clustern konzentrieren. Aus deren Ergebnissen werden bei einer weiteren Europäischen Konferenz zum einen Empfehlungen an die Politik abgeleitet und zum anderen die Bereiche identifiziert, in denen im letzten Projektjahr innovative Ansätze für die Stärkung der Jugendhilfe in der Arbeit mit jugendlichen Geflüchteten, Migrant/-innen und Asylbewerber/-innen entwickelt und getestet werden. Zwischen- und Endergebnisse werden auf nationaler wie europäischer Ebene in Fachkreisen und Jugendpolitik breit gestreut.
(Dr. Helle Becker im Auftrag von JUGEND für Europa)