Ein Fachforum, das es in sich hatte und klar machte, dass die Experten der Jugendarbeit enorm wichtige Aufgabe erfüllen: "Gegen den Trend – Die europäische und internationale Jugendarbeit stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt Europas" war der Titel der Veranstaltung.
Kaum ein freier Stuhl und angespannte Ruhe während der Expertengespräche zeugten davon, dass hier ein Thema anstand, das alle angeht und alle bewegt: Der Traum eines zusammenwachsenden Kontinents, der für Frieden und Wohlstand steht, droht zu zerplatzen.
Das Erstarken von Nationalisten, der Triumph von Populisten, der Rückbau von demokratischen Strukturen innerhalb und außerhalb der EU bedrohen die Weiterentwicklung Europas. Doch liegen die Gründe hierfür natürlich tiefer: So bleibt zum Beispiel der versprochene Wohlstand zu vielen Menschen verwehrt. Die Jugendarbeitslosigkeit von durchschnittlich 24 Prozent – in manchen Ländern gar bis zu 60 Prozent – lässt eine Generation ohne Hoffnung heran wachsen.
Schon wahr: Diese Generation ist vorzüglich ausgebildet, ihr stehen theoretisch die Tore Europas weiter offen als je zuvor. Doch platzen ihre Träume zu oft und zu früh. Eine fatale Situation, die Populisten nutzen, um mit vermeintlich einfachen Lösungen auf Stimmenfang gehen.
"Jugendarbeit muss viel politischer werden"
Um die europäische Idee zu stärken, "müssen wir die Frage der Identitäten neu definieren", sagte Jürgen Hein, Abteilungsleiter Europa und Internationale Angelegenheiten in der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei. So sei beispielsweise hierzulande die deutsche Identität viel zu lange absolut dominant gewesen. Erst langsam erkennen wir, dass Integration nur funktioniere, wenn wir uns auch an andere Kulturen angleichen – und damit unsere Identität neu überdenken würden. "Doch die Angst davor ist so tief gegangen, dass sie jetzt die völlige Ablehnung einer möglichen Integration auslöst."
Es gibt viele Gründe für eine Neujustierung der internationalen Jugendarbeit, so die einhellige Meinung der Podiumsexperten. Yörük Kurtaran von der Youh Studies Unit der Bligi Universität in Istanbul stellte klipp und klar fest: "Jugendarbeit muss viel politischer werden, ohne sich politisch zu positionieren."
Dem stimmte IJAB-Geschäftsführerin Marie Luise Dreber zu. Ihrer Meinung nach gehört eine ständige Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte der Jugendhilfe unabdingbar dazu. Und "die Träger der Jugendhilfe müssen sich selbst internationaler aufstellen, um die Jugendhilfe qualifizierter zu machen."
Der internationale Aspekt wurde insgesamt immer wieder betont. So erklärte der Migrations- und Integrationsexperte vom Jugendhaus Pumpelberg in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen: "Jugendarbeit ist der Motor und der Weg in ein vereintes Europa – auch wenn sich die Akteure dieser Bedeutung oft gar nicht bewusst sind."
Marie-Luise Dreber formulierte es treffend, als sie erklärte: „Wir werden nicht drum herum kommen, internationale Themen in unsere Jugendarbeit aufzunehmen. Peer-to-peer-learning ist nicht mehr nur für Jugendliche, sondern auch für die Fachkräfte ein ganz wichtiger Faktor!“
Immer mehr junge Menschen greifen zur Eigeninitiative
So weit die Pläne, die auch im Diskussionsforum einhellig begrüßt wurden. Doch bis es mit der Umsetzung der guten Ideen so weit ist, wiesen die Teilnehmenden des Panels auf eine neue, hoffnungsvolle Entwicklung in ganz Europa hin. Je länger die Politik in Schockstarre verharrt, und je hemmungsloser die Nationalismen wuchern, desto mehr junge Menschen greifen zur Eigeninitiative.
Die breite Unterstützung von Bewegungen wie "Pulse of Europe" sind ermutigende Zeichen in diese Richtung. Auch die Gezi-Proteste vor zwei Jahren gegen die Regierung Erdogan entstanden aus einer scheinbar gänzlich unpolitischen türkischen Jugendszene heraus.
Es gilt also, politische Bildung in die Jugendarbeit zu tragen und dazu die Verantwortlichen selbst ebenfalls weiter zu bilden. Da die Schrecken und Grauen der Weltkriege – einst Motor der EU-Entwicklung – inzwischen verblassen, muss die Jugendhilfe auch hier viel Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit leisten.
Wo wäre all das besser möglich, als im Rahmen von internationalen Austauschprogrammen? Viel mehr solcher Aktivitäten könnten übrigens stattfinden, wenn das nötige Geld dafür vorhanden wäre. Im finanziell vorzüglich ausgestatteten Deutschland können aber nur 60 Prozent der beantragten internationalen Austauschprogramme durchgeführt werden. "Wir diskutieren mit der Bundesregierung über mehr Geld", erklärte Marie-Luise Dreber von IJAB.
Begegnungen, gemeinsames Arbeiten und Lernen und Feiern überwindet Grenzen und begegnet nationalistischen Engstirnigkeiten. Das sollte uns jeden Cent wert sein, der nötig ist.
(Jörg Wild für JUGEND für Europa)