Für diese erste Bilanzierung antworteten die Mitgliedstaaten für jeden Bereich – Hochschule, Erwachsenenbildung Schule, Berufsbildung und Jugend – auf 21 Fragen der Europäischen Kommission. Diese betrafen die Zielerreichung, nationale Umsetzungsfaktoren, die Verwendung der Mittel, Erfahrungen mit der neuen Programmstruktur und mit der Zusammenarbeit der beteiligten Akteure - ein ziemlicher Rundumschlag also. Um es vorweg zu nehmen: Die Eigenständigkeit des Jugendbereichs im Programm hat sich bewährt und sollte noch gestärkt werden.
Für die Antworten aus dem Jugendbereich wurden verschiedene Daten genutzt, beispielsweise die statistischen Daten von JUGEND für Europa und Erhebungsdaten von RAY (Research-based Analysis and Monitoring of Erasmus+ Youth in Action) und UdL (Unter der Lupe – Umsetzung von RAY in Deutschland, außerdem Stellungnahmen des BMFSFJ, des Nationalen Beirates und von JUGEND für Europa.
Mehr Partizipation, mehr politische Informiertheit, mehr... – Das Programm wirkt
Ordentlich Input, der zunächst beindruckende Zahlen zur Wirksamkeit bei den Hauptadressaten des Programmteils liefert. "JUGEND IN AKTION wirkt überzeugend weiter“ heißt es da, unterlegt mit einem Katalog von persönlichkeitsbildenden und zukunftsorientierenden Erfahrungen der teilnehmenden Jugendlichen und MultiplikatorInnen. Fremdsprachliche, interkulturelle, soziale und personale Kompetenzen werden ebenso genannt wie eine gestiegene Mobilitätsbereitschaft.
Auch wenn die Projekte unter anderem dazu führen, dass die Teilnehmenden sich intensiv mit ihrer weiteren Ausbildung und beruflichen Situation befassen – deutlicher ist, dass sie das demokratische Bewusstsein und die politische Bildung junger Menschen stärken.
Die Mehrheit der Jugendlichen interessiert sich stärker für europäische Themen und Werte, entwickelt größeres bürgerschaftliches Engagement und mischt sich zunehmend ein, "weil die Projekte zur Erkenntnis beitragen, dass nur durch mehr Partizipation und politische Informiertheit die demokratische Gesellschaft gestärkt wird und Ausgrenzung, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit aktiv entgegengetreten werden kann."
Jugendliche mit geringeren Chancen werden in zunehmendem Maße erreicht
Bemerkenswert ist allerdings das hohe Ausgangsniveau. Viele der Jugendlichen sind bereits vorher interessiert und engagiert. Die Teilnahme verstärkt diese Einstellungen wesentlich. Umso erfreulicher ist, dass die Maßnahmen unter Erasmus+ JUGEND IN AKTION in einem erheblichen Maß und zunehmend mehr Jugendliche mit geringeren Chancen erreichen.
Denn aus den aktuellen Daten zum Profil der Teilnehmenden kann plausibel geschlossen werden, dass zwischen 25% und 30% zu denjenigen zählen, die einen erhöhten Förderbedarf haben. Der Anteil der Projekte, in denen diese Zielgruppen einbezogen sind, ist um rund 25% gegenüber dem Vorgängerprogramm auf 49% gestiegen. Auch ergibt sich aus den Daten, dass sich aktuell 20% der Projektverantwortlichen einer Minderheit zuordnen, vor allem Einwanderer der ersten Generation und ethnische Minderheiten. Dies ist eine Zunahme um 50% gegenüber dem Vorgängerprogramm.
Dennoch fehlt es immer noch an niederschwelligen Zugangs- und Beteiligungsmöglichkeiten mit angemessener finanzieller Förderung für Jugendliche mit geringeren Chancen und spezifischen Bedürfnissen sowie für die wachsende Zahl junger Geflüchteter.
Wirkungen auf der Trägerebene
Auch die Träger profitieren. Abgesehen davon, dass sie internationaler werden – sie haben mehr Kontakte in andere Länder (94%), sind intensiver vernetzt (88%) führen mehr europäische / internationale Projekte durch und bereiten sie mit den Partnern gemeinsam vor (jeweils 88%) – steigt das Verständnis für die Zusammenarbeit der Bildungsbereiche. Konzepte und Anwendungsmöglichkeiten nicht-formaler und informeller Bildung spielen für die Projektträger auf Organisationsebene eine zentrale Rolle (90%). Und 83% verstehen die Verbindung zwischen den Bildungsbereichen und den jeweils spezifischen Lernprozessen besser.
Wichtig: der "Unterstützende Ansatz"
Als ein wesentlicher Grund für diese positiven Entwicklungen wird der "unterstützende Ansatz" von JUGEND für Europa angesehen. Er umfasst Information, Beratung sowie unterstützende und begleitende Maßnahmen einschließlich bedürfnisorientierter Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten (TCA). Allerdings – und hier wird erste Kritik laut – müssen administrative Zugangsbedingungen und bestimmte Verfahren zur Antragstellung und Berichterstattung auf europäischer Ebene verbessert werden, damit der Unterstützende Ansatz der Nationalagentur in Gänze zum Tragen kommen kann.
Die (jugendpolitische) Marke JUGEND IN AKTION
Auch wenn diese Bemühungen dazu geführt haben, dass JUGEND IN AKTION als Marke nicht untergegangen ist – im Gegenteil erfährt JUGEND IN AKTION durch Erasmus+ mehr öffentliche und politische Aufmerksamkeit – hat die Sichtbarkeit der einzelnen Programmbereiche offenbar generell gelitten. Nur der Hochschulbereich ist da eine Ausnahme, kein Wunder, weil er vor allen anderen mit dem Markennamen "Erasmus" identifiziert wird.
Um die besonderen Bildungsmöglichkeiten und die spezifische Thematik von JUGEND IN AKTION im Erasmus+ Programm wieder stärker sichtbar zu machen, wird für diesen Programmbereich neben der Beibehaltung des eigenen Budgets, vor allem eine Anpassung der Förderbedingungen und ein eigenständiges Kapitel im Programmhandbuch gefordert.
Aus jugendpolitischer Sicht hat das gemeinsame Dach des Programms auch zu einer weiter wachsenden Anerkennung von Jugendarbeit als qualifizierende nicht-formale Bildung geführt. Dazu beigetragen haben eine zunehmende Qualifizierung der pädagogisch Tätigen im Jugendbereich und die größer werdende Verständigung über Qualitätsstandards für europäische und internationale Jugendarbeit. Außerdem hat das bei JUGEND für Europa angesiedelte SALTO Training and Cooperation Centre die Anerkennung nicht-formaler Lernerfahrungen unterstützt.
Jugendpolitisch ist die zunehmende Verknüpfung von Politik und Jugendarbeit ein Mehrwert für Erasmus+. Mit einer Überarbeitung von entsprechenden Förderzielen und Förderformaten könnte dieser Prozess effektiv fortgeführt und weiter unterstützt werden. "Angesichts der besonderen Struktur der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland sind die Einbeziehung von mehr Trägern aus diesem Bereich und eine breitere Verankerung des Pro-gramms auf kommunaler Ebene prioritäre Anliegen aller verantwortlichen Akteure in Erasmus+ JUGEND IN AKTION in Deutschland" resümiert der Bericht.
Veränderungen der Programmstruktur
Und was ist nun der Gewinn der Veränderungen der Programmstruktur in Erasmus+? Da sind zunächst die Aktionsbereiche des Programmteils. Für die Leitaktion 1 hat das Antragsvolumen zur Fachkräftemobilität von 2013 bis 2015 um 61% zugenommen, die Fördermöglichkeiten sind aber begrenzt geblieben. Eine engere zielgerichtete Nutzung mit dem Fokus auf die Bedarfe im Kontext von Jugendarbeit und Jugendpolitik erscheint deshalb erforderlich.
Es besteht Nachbesserungsbedarf in Leitaktion 2. Es fehlt eine konkrete Beschreibung der Zielrichtungen dieser Aktion und welches Unterstützungs- und Begleitsystem zur Planung und Implementierung dieser Projekte durch die Nationalagenturen benötigt wird. Auch die Finanzierungsmodalitäten sollten vereinfacht und in einer Hand konzentriert werden, um bei der Realisierung qualitative Einbußen wegen unterschiedlicher Förderentscheidungen zu vermeiden.
Transnationale Jugendinitiativen sollten als eigene Aktion in der Leitaktion 1 angesiedelt werden und durch vereinfachte formale Kriterien und Finanzierungsmodalitäten leichter zugänglich werden. Handlungsbedarf besteht auch für die Leitaktion 3. Hier werden eine Präzisierung der Zielbeschreibung und eine Überarbeitung der Förderstruktur, der Förderhöhe und der Verfahren für Projekte zum Strukturierten Dialog als notwendig angesehen.
Jugendspezifische Belange stärken
Im Übrigen gilt: "Das augenblickliche Prinzip 'one size fits all' wird den jugendspezifischen Belangen nicht gerecht und macht sich hinsichtlich der beteiligten Organisationen und der Wirkungen auf den Jugendbereich kontraproduktiv bemerkbar." Das Urteil des Berichts ist klar: "JUGEND IN AKTION benötigt die Anerkennung seiner Sektor spezifischen Besonderheiten und eine möglichst schnelle Rückkehr zu einer stärkeren Sektor spezifischen Handhabung der Programmumsetzung unter Beibehaltung der Sektor übergreifenden Errungenschaften.“
Verfahren müssen vereinfacht werden
Nicht die Zusammenführung der alten Programme ist das Problem – sie wirkt sich durch größere politische und öffentliche Wahrnehmung des Gesamtprogramms sowie dessen bessere finanzielle Ausstattung eher positiv aus –, wohl aber die neuen Verfahren und Bestimmungen. Rund 40% der Projektverantwortlichen aus antragstellenden Organisationen bezeichnen die Verfahren in Erasmus+ JUGEND IN AKTION schwieriger als in anderen Förderprogrammen und die Hälfte der Antworten kritisiert besonders die Online Tools.
Die von der Europäischen Kommission anfangs angekündigte Vereinfachung und Entlastung ist also nicht eingetreten. Stattdessen hat sich der Verwaltungsaufwand mit Erasmus+ für alle Beteiligten in JUGEND IN AKTION spürbar erhöht. Er führt auch dazu, dass viele Träger der Kinder- und Jugendhilfe als Antragsteller "verschwinden", insbesondere kleinere, unerfahrene, auf Ehrenamt basierende Organisationen ohne ausreichende Verwaltungsressourcen und Kommunen.
"Eine grundsätzliche Verringerung des Verwaltungsaufwandes ist vonnöten", heißt es lapidar im Bericht.
Das liebe Geld
Und sonst? Ein besonders wunder Punkt ist die Mittelausstattung. Die bisher vorgesehene Erhöhung bis zum Ende der Laufzeit des Programms reicht nicht aus, um nachfragegerecht qualitative Projekte fördern zu können. Durchschnittliche Ablehnungsquoten in Deutschland von 39% in 2015 und fast 50% in 2016 sind eindeutig zu hoch.
Noch dazu führen die jetzige Budgeterhöhung und etliche administrative Neuerungen zu einem deutlich größeren Arbeitsaufwand der Nationalagentur bei gleichbleibenden Personalressourcen. Auch hier werden also mehr Mittel benötigt.
Einig im Gesamturteil
JUGEND IN AKTION hat diese Sorgen nicht allein. Viele Erfahrungen und Forderungen decken sich mit denen anderer Programmbereiche. So ist aufgrund der neuen Verfahren die Zahl der Antragsteller im Schulbereich stark zurückgegangen. Es werde "sichtbar, dass die in Erasmus+ an den politischen Prioritäten formulierten Programmziele oft nur einen sehr abstrakten Bezug zur schulischen Realität vor Ort haben“ lautet das harte Urteil.
Für die Bereiche Berufsbildung und Erwachsenenbildung wird deutlich, dass eine deutliche Ko- und Zusatzfinanzierung des Bundes entsprechende Einbrüche verhindert. Das allgemeine Fazit des Deutschen Gesamtberichts lautet: "Das augenblickliche System der administrativen Verfahren und finanziellen Regelungen ist kontraproduktiv im Hinblick auf die von allen Akteuren gewünschte qualitative, nachhaltige Wirkungen erzeugende Umsetzung des Programms." Und "es gibt in der Praxis bislang allerdings weniger inhaltliche Synergien als erwartet. In Zukunft müssen die Besonderheiten der Programmbereiche stärker berücksichtigt werden und sich in einer größeren Flexibilität in der Programmdurchführung niederschlagen."
Vielleicht erhöht dieses vereinte Urteil die Chancen, dass nachgebessert wird.
(Dr. Helle Becker für JUGEND für Europa)
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Dokumente
Download: Zwischenevaluierung des Programms ERASMUS+ JUGEND IN AKTION 2017 (PDF-Dokument, 600 kb)
Download: Nationaler Bericht zur Halbzeitevaluation von Erasmus+ in Deutschland (PDF-Dokument, 600 kb)