Mit Kultur*imPULS fing alles an: Im PULS, dem Jugendzentrum für junge Lesben, Schwule, Bi- und Trans*sexuelle in Düsseldorf treffen sich an zwei Freitagen im Monat junge Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und können ihre Themen rund um LGBT* platzieren. Seit der Eröffnung des Jugendzentrums im Jahr 2010 sind Jugendliche mit Migrationshintergrund dabei, aber der Fokus auf Migration, Flucht und Integration kam erst im Kultur*imPULS-Projekt stärker dazu – entstanden aus der Notwendigkeit: „Es beschäftigt sehr viele Jugendliche, dass sie sich nicht nur als LGBT* outen müssen, sondern auch dass sie in verschiedenen Kontexten und Religionen leben, also in der Schule eine andere Kultur haben als Zuhause und da auch jeweils anders wahrgenommen werden“, erklärt Projektleiter Jukka Jokela.
Regelmäßig sind auch mehrere junge Geflüchtete im Jugendzentrum dabei, um sich beispielsweise mit dem Thema Flucht und Homosexualität zu beschäftigen oder sich über ihre Erfahrungen mit Rassismus und Homophobie austauschen zu können. Ein Team von Jugendlichen überlegt sich immer das Thema des nächsten Treffs. Im November 2016 gewann das Projekt den dritten Platz beim Düsseldorfer Integrationspreis, der mit 1000 Euro dotiert war – Geld, das im August in einen Jugendaustausch mit der finnischen Gruppe TuSeta in Turku floss. JUGEND für Europa sprach mit Mirko (18), Jacky (20) und Noor (20) sowie Jugendarbeiter Jukka Jokela, der mit seiner Kollegin Jana Hansjürgen den Austausch plante und begleitete.
JUGEND für Europa: Jukka, mit der Verleihung des Düsseldorfer Integrationspreises hat alles angefangen – wie ging es dann weiter?
Jukka Jokela: Wir haben uns mit den Jugendlichen hingesetzt und diskutiert was wir mit den 1000 Euro Preisgeld machen wollen. Viele Jugendliche haben gesagt, dass sie lieber etwas erfahren wollen, als etwas davon zu kaufen. Also sind wir auf die Idee gekommen einen Austausch zu machen. Ich habe mich erkundigt und nach Partnern umgeschaut – dabei hat auch mein persönlicher Hintergrund eine Rolle gespielt: Ich komme ursprünglich aus Turku in Finnland und bin vor acht Jahren nach Deutschland gekommen. Anfangs habe ich nach Partnern in Helsinki gesucht, aber das hat leider nicht geklappt und dann war die erste Antragsfrist auch schon vorbei und ich dachte, dass es vielleicht gar nichts Passendes für uns gibt. Ich habe dann noch mal alle anderen Städte angeschrieben, obwohl sie relativ klein sind. Als ich noch in Turku gelebt habe, gab es nichts vergleichbares, deswegen war ich mehr als erstaunt, dass es ausgerechnet in meiner Heimatstadt mit TuSeta einen ähnlich aktiven Jugendtreff gibt wie unseren. Wir haben genauer über den Austausch gesprochen und dann auch im April den Antrag gestellt – das hat super geklappt.
Und die Jugendlichen haben selbst an der Vorbereitung mitgewirkt...
Jokela: Ja, ein kleines Team von Jugendlichen hat mit mir die Idee für den Austausch erarbeitet und wir haben grob über die Themen gesprochen. Dabei haben wir herausgefunden, dass es im August mit der Turku Pride eine Parade wie den Christopher-Street Day in Deutschland geben wird – das war natürlich super. Auch haben wir überlegt, dass wir mit einem Politiker oder einer Politikerin sprechen wollen, die Kulturunterschiede zwischen beiden Ländern thematisieren, die Strukturen zum Thema Aufklärung kennen lernen und die Geschichte der Homo- und Trans*sexuellen in beiden Ländern aufarbeiten wollen. In Finnland gibt es nicht so viele Jugendliche mit Migrationshintergrund wie in Deutschland, deswegen hat sich die finnische Gruppe sehr für das Thema Flucht und Migration interessiert.
Mirko, du warst zum ersten Mal in Finnland – wie hast du den Austausch wahrgenommen?
Mirko (18): Ich bin interessiert an anderen Kulturen und als es dann auch noch speziell um LGBT* ging, wollte ich auf jeden Fall mitfahren, um andere Jugendliche kennenzulernen und das eben nicht aus einer Urlaubs-Perspektive, sondern auf Augenhöhe. Wir wussten natürlich nicht was uns von der anderen Gruppe erwartet und es war spannend zu sehen, dass sich viele der finnischen Jugendlichen als „non-binary“ definiert haben – also weder als männlich noch als weiblich. Damit hatte ich bisher noch nichts zu tun und dann auf einmal so viele Menschen kennenzulernen, bei denen das der Fall ist, war eine außergewöhnliche Erfahrung. Auch wenn man die Sprache betrachtet: Auf Englisch war das mit „they“ anstatt des „he“ oder „she“ kein Problem, das funktioniert auf Finnisch auch, aber auf Deutsch eben nicht – man muss den Namen der Person wissen und deswegen haben wir dann auch den englischen Begriff verwendet.
Jukka, du stehst selbst ja ein bisschen zwischen den beiden Kulturen. Was waren für dich eine Herausforderung, aber auch Ziele des Austauschs?
Jokela: Die Unterschiede waren etwas kleiner als gedacht: Das Thema „Ehe für alle“ war für die Jugendlichen im Antragsstellungsprozess eines der größten Themen. Sie wollten erfahren wie man sich da noch mehr politisch einbringen kann und jetzt ist das auch in Deutschland so schnell Realität geworden. Mein Wunsch war, dass wir noch eine Ebene weiter gehen, als in unserem Kultur*imPULS-Projekt: Nämlich, dass die Jugendlichen auch selbst Erfahrungen machen können mit kulturellen Unterschieden in einem anderen Kontext: Viele der 24 mitgereisten Jugendlichen können aus finanziellen oder anderen Gründen nicht ins Ausland reisen und denen das zu ermöglichen war eine tolle Erfahrung und hat mich an meine Zeit als Erasmus-Student in München erinnert.
Jacky, Noor, was hat euch besonders gefallen an dem Austausch?
Jacky (20): Jukka hat viel erzählt von seiner Heimat und seiner Familie in Finnland und dorthin zu fliegen und die ganze Woche mit Jugendlichen zu erleben, war einfach eine einmalige Gelegenheit. Besonders toll fand ich die Turku-Pride in einem anderen Land, mit einer anderen Atmosphäre zu erleben – da gab es auch ein Parkfest, wo wir gepicknickt haben und Musik gespielt wurde und danach eine große alkohol- und drogenfreie After-Party. Interessant fand ich, dass es am Anfang gar nicht so leicht war an die Finn_innen heranzukommen, ein Thema zu finden worüber man sich ungezwungen unterhalten konnte, weil es Smalltalk da kaum gibt.
Noor (20): Ich habe selbst einen Fluchthintergrund und mich hat es sehr interessiert mit der finnischen Parlamentsabgeordneten zu sprechen und mehr über die Asylsituation für LGBT*-Geflüchtete in Finnland zu erfahren. Ich war seit zwei Jahren nicht außerhalb Deutschlands, deswegen war das für mich eine großartige Chance eine andere Kultur zu erleben. Mit den finnischen Jugendlichen habe ich viel über das Coming-Out sprechen können, zum Beispiel auch wie Geflüchtete mit ihren Eltern darüber sprechen können. Ich war erstaunt, dass es den Finn_innen egal war, dass ich ein Geflüchteter bin: Ich war ganz normal dabei, niemand hat komische Fragen gestellt, wir haben zusammen gegessen und Projekte gemacht, das war toll.
Kurz bevor ihr nach Turku gereist seid gab es das Attentat im Zentrum von Turku. Wie hat euch das beschäftigt?
Mirko: Natürlich ist man etwas mitgenommen, wenn man die Nachricht bekommt, aber es war gut zu hören, dass niemand von TuSeta involviert war. Es gab dann zum Beispiel die Regel, dass wir immer nur in Dreiergruppen in der Stadt unterwegs waren. Auf dem Marktplatz, wo das Attentat passiert ist, haben wir uns zusammen an den Kerzenkreis gestellt und darüber gesprochen. Das war ein trauriger Anblick und wir haben der Sache gedacht – aber ich würde nicht sagen, dass es uns den Spaß genommen hat.
Jacky: Ja, es hat uns eher bestärkt darin, über die Ländergrenzen füreinander da zu sein und uns nicht nur als nationale Gemeinschaften zu verstehen.
Jokela: Das Attentat war am Freitag und wir wollten am Dienstag los – das war natürlich ein sehr skurriles Gefühl, weil gerade die Anschläge in Barcelona waren und man denkt, dass es vielleicht ganz gut ist, dass man eine kleinere europäische Stadt gewählt hat und dann passiert es auch dort. Wir haben dann sofort die Jugendlichen informiert, dass wir noch nicht wissen was genau in Turku passiert ist und wir über das Wochenende versuchen mehr herauszubekommen. Gleichzeitig haben wir gleich mit TuSeta telefoniert und gefragt, ob bei ihnen alles okay ist. Als wir dann dort waren hat zum Beispiel die Polizei empfohlen, die Turku Pride Parade aus Sicherheitsgründen nicht zu lang zu halten: Anstatt einer Stunde waren es dann nur zwanzig Minuten – ein bisschen enttäuschend für manche der Jugendlichen.
Jukka, du hast ja auch eine persönliche Beziehung zu der Stadt, dem Land und Familie und Freunde dort – was hast du von ihnen mitbekommen?
Jokela: Die ersten Tage nach dem Anschlag war es wohl sehr komisch für sie in die Innenstadt zu gehen, weil es bis dato nicht möglich war, dass es in einer so kleinen Stadt, einem kleinen Land am Rande Europas passieren würde – das hat viele Finn_innen getroffen. Ich glaube viele Menschen haben gedacht, dass wenn es passiert, dann eher in Helsinki. Wir haben auch mit TuSeta viel darüber gesprochen und hatten alle die Meinung, dass es sehr traurig und für die Angehörigen tragisch ist, was passiert ist, aber dass man auch den Mut haben muss, sein eigenes Leben, seinen Alltag davon nicht so stark beeinflussen zu lassen. Die Jugendlichen aus Turku haben uns erzählt, dass man nach dem Anschlag auf der Straße rassistische Kommentare und Gespräche hören konnte. Ich denke, das ist ein Punkt, an den wir im Oktober hier in Düsseldorf gut anknüpfen können, wie das Thema Rassismus in der öffentlichen Diskussion vorkommt.
Ende Oktober steht euer Wiedersehen mit der finnischen Gruppe in Düsseldorf an. Seid ihr dann auch wieder dabei?
Noor: Ja, ich freue mich sehr, die Finn_innen wiederzusehen und ihnen unsere Stadt zu zeigen und weiter an den Workshops und Themen zu diskutieren.
Jacky: Ich glaube es wird sehr witzig, ihnen Düsseldorf näher zu bringen, weil die Stadt ziemlich groß ist. Wenn die Finn_innen sagen es sei heute „voll“ in der Stadt, dann ist es ungefähr so wie hier an einem Sonntagnachmittag in der Fußgängerzone: Ausgestorben. Das wird also ein kleiner Kulturschock für sie (lacht).
Mirko: Meine Eltern fahren in der Zeit in den Urlaub und haben gefragt, ob ich mit möchte. Für mich stand aber fest, dass ich meine finnischen Freunde wiedertreffen möchte und an den Rainbow Stories weiterarbeiten werde: Ich habe im Interview-Team die Finn_innen interviewt und jetzt müssen die Interviews noch geschnitten werden. Ich finde es toll, dass wir ein so langfristiges Projekt machen.
Was verbirgt sich denn genau hinter dem European Rainbow Stories, Jukka?
Jokela: Die European Rainbow Stories sind ein Projekt, das als Homepage gedacht ist und zur Reflexion der Jugendlichen mit Filmen, Bildern, Texten, Audios, Improvisationstheater usw. dient. Die Arbeitsgruppen dazu wurden von den Jugendlichen selbst geleitet und daran wird dann in Düsseldorf und natürlich auch digital weitergearbeitet. Auf der anderen Seite will die Homepage will aber auch andere LGBT*-Jugendliche erreichen und ihnen Mut machen, wenn sie vielleicht kein Jugendzentrum in ihrer Heimatstadt haben oder nicht an einem solchen Austausch teilnehmen können.
Viel Erfolg dabei!
Jokela: Danke!
(Das Interview führte Lisa Brüßler im Auftrag von JUGEND für Europa. Fotos: PULS Düsseldorf )
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Weiterführende Informationen
Link: Mehr über die Arbeit des Jugendzentrums PULS in Düsseldorf erfahren Sie hier...
Link: Wenn auch Sie eine Jugendbegegnung über das Programm Erasmus+ durchführen wollen, erhalten Sie alle notwendigen Informationen auf unserer Seite www.jugend-in-aktion.de...