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EU-Kommission gibt Details zum "Solidaritätskorps" bekannt

JUGEND IN AKTION

Nachdem Kommissionspräsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union am 14. September die Gründung eines Europäischen Solidaritätskorps für sozial engagierte junge Menschen vorschlug, legt die Kommission nun mit weiteren Details nach.

In seiner Rede hatte Juncker erklärt, dass junge Menschen innerhalb der Europäischen Union dort helfen sollten, wo die Hilfe am nötigsten sei (siehe NEWS). Als Beispiele führte er das jüngste Erdbeben in Italien sowie die Flüchtlingskrise an. Laut Juncker solle ein „Europäische Solidaritätskorps“ sobald wie möglich eingesetzt werden. Ziel sei die Teilnahme von 100.000 jungen Europäern bis 2020. Schon in der Roadmap des EU-Gipfels in Bratislava Mitte September wurde das Ziel festgeschrieben, einen Rats- und Parlamentsbeschluss bis Juni 2017 herbeizuführen.

Ziele des Solidaritätskorps

Ein Q&A-Papier der Europäischen Kommission informiert nun über weitere Details. Danach soll ein Engagement im Europäischen Solidaritätskorps Menschen unter 30 Jahren die Möglichkeit geben, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Kommunen oder private Unternehmen, die soziale Veränderungen anstreben, zu unterstützen. Es gebe viele Arten zu helfen: So könne der Freiwilligendienst dort eingesetzt werden, wo Städte nach Naturkatastrophen wiederaufgebaut werden, Armut bekämpft, Gesundheitsvorsorge geleistet oder Flüchtlinge bei ihrer Ankunft unterstützt werden. Denkbare Zielgruppen freiwilliger Aktivitäten seien Roma, Menschen mit Behinderungen oder MigrantInnen. Auch ein Engagement in der Prävention von Katastrophen und entsprechenden längerfristigen Maßnahmen sei geplant, wobei akute Hilfe im Notfall, wie beispielsweise die Bekämpfung von Waldbränden, weiterhin in der Hand von Experten läge.

Ein neuer Freiwilligendienst?

Das Solidaritätskorps soll „auf bestehenden professionellen und Freiwilligen-Programmen für junge Menschen“ aufgebaut und „bestehende Netzwerke der Beschäftigung, Bildung und Zivilgesellschaft in Europa mobilisiert“ werden. Was das heißt, bleibt unklar, soll aber „in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten, Kommunen und NGOs“ entwickelt werden. Als bloßer Schwerpunkt des bestehenden Europäischen Freiwilligendienstes im Rahmen von Erasmus+ ist das Solidaritätskorps wohl nicht gedacht, soll es doch „eine eigenständige Identität“ haben. So sollen die jungen Menschen nicht nur in einem anderen EU-Mitgliedsstaat, sondern auch in ihrem Heimatland eingesetzt werden, abhängig davon, wo die Hilfe gebraucht wird und welche Interessen und Qualifikationen der Bewerber hat. Offenbar wird auch zwischen ehrenamtlichen und berufstätigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterschieden. Denn wenn „eine Person als regulärer Angestellter, Praktikant oder Auszubildender in einem anderen Mitgliedstaat rekrutiert wird“, bekommt diese einen Vertrag und ein Gehalt. Kosten zum Lebensunterhalt und zur Reise sollen dann über die EU-Jugendgarantie finanziert werden. Die Kosten für Freiwillige sollen dagegen über das „European Voluntary Scheme“ - unklar, ob im Rahmen von Erasmus+ - abgedeckt werden. Sie sollen dann auch ein Taschengeld und eine Versicherung erhalten. 

Wer koordiniert?

Als ersten Schritt kündigt die Europäische Kommission an, ein Online-Portal als zentrale Anlaufstelle für interessierte junge Menschen und Organisationen einzurichten. Dort sollen sich die Kandidatinnen und Kandidaten um eine Teilnahme am Programm bewerben können, wobei auf den persönlichen Hintergrund und die Wünsche der Interessierten eingegangen werde. Vom frischen Schulabgänger bis hin zum Hochschulabsolventen mit Berufserfahrung sollen verschiedenste Profile berücksichtigt und die Möglichkeiten geschaffen werden, sich im Rahmen von Freiwilligenarbeit, Ausbildung oder eines Angestelltenverhältnisses einzubringen. NGOs, Kommunen und private Unternehmen, die die Ziele des Solidaritätskorps verfolgen, können das Portal nutzen, um junge Menschen zu bewerben und mit ihnen in Kontakt zu treten. Wie es dann weitergeht, liegt wohl bei den Aufnahme-Organisationen, „eine Vorauswahl treffen und diejenigen auswählen, die am besten ihrer internen Kultur und ihren spezifischen Bedürfnissen entsprechen.“

Cui bono?

Der Rest ist bekannt, er gehört zu den Kernbegründungen des bestehenden Europäischen Freiwilligendienstes: Für die jungen Menschen soll das Programm eine Möglichkeit darstellen, nicht nur praktische Solidarität zu leben, sondern auch wichtige Erfahrungen zu machen, die ihnen im späteren beruflichen Leben helfen können. Zwar sollen alle Organisationen, die an dem Programm teilnehmen wollen, die Qualitätsstandards erfüllen, die in der EFD-Charta festgehalten sind. Allerdings gibt es kein weiteres Wort dazu, wer diese Freiwilligenstellen bei NGOs, Kommunen und private Unternehmen überprüft und die Aktivitäten kontrolliert. Auch die wichtigste Frage klärt das Kommissions-Papier nicht, nämlich die nach dem Verhältnis des „Solidaritätskorps“ zum bestehenden Europäischen Freiwilligendienst.

Die Kritik an einem derartigen „EU-Soli“ ließ nicht lange auf sich warten: „Der Europäische Freiwilligendienst-Erasmus+, die Entsendung und Aufnahme von freiwilligen, ehrenamtlichen jungen Menschen, die die Europäische Idee „etwas für andere tun" in europäische Länder tragen, ist und bleibt ein Wert für sich“, kommentiert Lothar Wypyrsczyk vom VDIJB e.V. - Verein zur Förderung der Internationalen Jugendarbeit und-Projekt in Münster. „Eine bisher mangelnde Europäische Idee zur Lösung der gesamten Flüchtlingsproblematik wird nicht mit einem Europäischen Jugendcorps zu lösen sein.“ Und Rolf Witte von der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung meint: „Was wir in Deutschland und Europa wirklich brauchen, das sind gut ausgebildete KatastrophenhelferInnen, SozialarbeiterInnen und andere Berufsgruppen mit Erfahrung in der Bewältigung von Krisensituationen. Aber die werden nirgendwo in ausreichender Zahl gefördert und ausgebildet. Junge Menschen und ihre Motivation als Notnagel zu missbrauchen und so öffentlichkeitswirksam ohne viele Investitionen Aktionismus zu betreiben, das hat in meinen Augen mit den Zielsetzungen und dem Geist von Freiwilligendiensten überhaupt nichts zu tun.“

(Dr. Helle Becker für JUGEND für Europa)

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