Sie sind hier:

Nachricht

Jugendbegegnung: Europa am Scheideweg

JUGEND IN AKTION

In Europa lernen. Wie dies funktionieren kann, zeigt sich exemplarisch auf Jugendbegegnungen. Im Austausch mit Menschen aus anderen Ländern können eigene Sichtweisen hinterfragt und erweitert werden. Der interkulturelle Austausch hilft, Toleranz und Kritikfähigkeit zu vermitteln. Und häufig erleben die Verantwortlichen, wie sich die teilnehmenden Jugendlichen nach den Maßnahmen weiter gesellschaftlich engagieren. So auch beim Projekt "Europa am Scheideweg".

Das Internationale Bildungszentrum Sankt Marienthal mit Sitz in Ostritz liegt im Dreiländereck Deutschland-Tschechien-Polen. Seit 1996 finden hier jährlich europäische Jugendbegegnungen statt. Aus der Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen hat sich im Laufe der Zeit das "Europäische Netzwerk St. Marienthal" gebildet.

Im Oktober 2017 war es wieder soweit: 57 Jugendliche aus sechs Nationen sowie junge Geflüchtete kamen in Ostritz zusammen. "Europa am Scheideweg" – so lautete der Titel der Jugendbegegnung. Acht Tage lang beschäftigten sich die Teilnehmenden intensiv mit der Flüchtlingspolitik in Europa. Der Großteil der Jugendlichen hatte noch nie an einer europäischen Jugendbegegnung teilgenommen.

JUGEND für Europa sprach mit Georg Salditt, Abteilungsleiter für den Bereich Bildung und Begegnung beim IBZ Marienthal über das Projekt.

JfE: Herr Salditt, 57 Jugendliche aus Deutschland, Tschechien, Polen, Lettland, Schweden und Spanien sowie junge Menschen mit Fluchterfahrung haben an der Begegnung teilgenommen. Wie sind Sie mit der Vielfalt der Teilnehmenden umgegangen?

Georg Salditt: Das Projekt war in erster Linie ein interkulturelles und zielte auf die Verständigung der Jugendlichen aus den verschiedenen Ländern und Kulturen. Die Teilnehmenden waren in multinationalen Zimmern untergebracht und nahmen alle gemeinsam das Essen zu sich. Während der Begegnung arbeiteten sie in den Workshops zusammen, drehten also Kurzfilme, nahmen Musikstücke auf, spielten Theater und vieles mehr. Sie debattierten außerdem gemeinsam über die verschiedenen Flüchtlingspolitiken in Europa, aber auch über andere wichtige gesellschaftliche Themen innerhalb der Europäischen Union.

Die Jugendlichen haben sie in die Vorbereitung stark eingebunden. Wie wichtig ist dies für eine erfolgreiche Begegnung?

Die Einbindung der Jugendlichen ist hierfür definitiv eine wichtige Voraussetzung. Die Jugendlichen haben sich zunächst in nationalen Gruppen in ihrem Heimatland getroffen und sie sich konkret auf die Jugendbegegnung vorbereitet: Das Programm sowie die Verteilung auf die Workshops wurde in dieser Phase erarbeitet (und in der eigens dafür eingerichteten Facebook-Gruppe abgestimmt).

In den nationalen Arbeitsgruppen haben die Jugendlichen dann die Flüchtlingspolitik des eigenen Landes sowie die Reaktion des Heimatlandes auf die sogenannte "Flüchtlingskrise" analysiert. Die Analyse wurde von den Jugendlichen bewertet und anschließend in einen schönen Vortrag für die Begegnung verpackt. Dabei waren den Jugendlichen keine Grenzen gesetzt. Viele erarbeiteten im Voraus einen kleinen Film, in dem sie Menschen auf den Straßen interviewten oder – wo möglich – direkt mit Geflüchteten sprachen.

Jede Gruppe bereitete auch einen nationalen Abend für die Begegnung vor. Bei diesem stellten die Jugendlichen den anderen Teilnehmenden nicht nur ihre jeweilige Kultur, ihre Bräuche, Lebensweise und ihre Sprache, sondern auch aktuelle Transformations- und Entwicklungsprozesse vor. Durch die intensive Vorbereitung wurden die Jugendlichen also einerseits bereits an das Thema herangeführt und andererseits auch kulturell auf die Begegnung vorbereitet.

Mit "Europa am Scheideweg" setzen sie sich mit einem hochaktuellen politischen und gesellschaftlichen Thema auseinander. Wie können solche Projekte nachhaltig Werte vermitteln, die für die politische Bildung junger Menschen wichtig sind?

Das Wichtigste ist zuallererst ein interessantes Thema zu finden. In unserem Falle haben wir die verschiedenen Flüchtlingspolitiken in Europa untersucht und die Weise, wie die EU mit der sogenannten "Flüchtlingskrise" umgeht.

Es war wichtig, dass die Teilnehmenden auch selbst mit jungen Geflüchteten sprechen konnten und so noch viel besser deren Situation und die Schwierigkeiten bei der Flucht nachvollziehen konnten. Durch die interkulturelle Zusammenarbeit und die Bildung zu diesem Themengebiet haben die Jugendlichen gemeinsame Werte wie Toleranz, Offenheit und respektvollen Umgang neu entdeckt und aktiv während der Jugendbegegnung gelebt. Die Jugendlichen wurden dazu motiviert, sich gesellschaftlich weiter zu engagieren.

Auch der europäische Zusammenhalt wurde zunehmend durch die Begegnung gestärkt. Teilweise vorherrschende Vorurteile wurden mit unserem Projekt gezielt abgebaut. Auf die Vorteile der Europäischen Union wurde mehrmals aufmerksam gemacht und die Jugendlichen haben verstanden, dass ein friedliches und offenes Miteinander nur durch gemeinsame politische Arbeit und länderübergreifendes Engagement möglich ist.

Eine Woche Begegnung plus eine intensive Vorbereitungszeit. Was haben die Teilnehmenden aus Ihrer Sicht mit nach Hause genommen?

Die Teilnehmenden nahmen eine Zeit voller neuer Erlebnisse und Bekanntschaften mit nach Hause. Viele Jugendliche berichteten uns, wie sehr die Begegnung ihre Denkweise verändert hat. Während der Begegnung etablierte Freundschaften bleiben dank sozialer Medien weiterhin bestehen. Ihr angesammeltes Wissen und die damit verbundenen Werte nehmen sie mit nach Hause und verbreiten es in ihrer Familie und im Freundeskreis. 

In der Vergangenheit haben wir bereits öfters von ehemaligen Teilnehmenden gehört, wie ihr gesellschaftliches Engagement und ihre Motivation, selbst etwas anzupacken, durch die Begegnung gestiegen ist. Deswegen sind wir diesmal wieder voller Zuversicht, dass wir in den Jugendlichen etwas zum Positiven angeregt haben.

Für die Teilnehmenden aus den östlichen Ländern (Tschechien und Polen) war es eine komplett neue Erfahrung Geflüchtete persönlich kennenzulernen. Vor allem diese Jugendlichen haben erkannt, wie wichtig und bereichernd es ist, sich für Geflüchtete einzusetzen, und sind demzufolge traurig, dass es für sie in ihren Heimatländern nicht so einfach ist wie in anderen Ländern der Europäischen Union.

Am Ende der Begegnung haben die Teilnehmenden eine gemeinsame "Marienthaler Erklärung zur Europäischen Flüchtlingspolitik" erarbeitet. Was war die Absicht dahinter?

Das Ziel dieses Programmpunktes war es einerseits, den Jugendlichen ein Gefühl für die europäische Zusammenarbeit zu geben (die mitunter auch sehr kompliziert sein kann) und andererseits, damit sie ihre erlernten Werte und ihr Wissen in einer gemeinsamen Sitzung sammeln, aufschreiben und schließlich mitnehmen können. Die Erklärung wurde an ausgewählte europäische Akteure und Institutionen versandt.

Wie prägen solche Projekte wie "Europa am Scheideweg" die beteiligten Organisationen? Was nehmen sie selber für ihre Arbeit mit?

Solch eine Begegnung hinterlässt natürlich positive Spuren bei allen Beteiligten. Wir und unsere Projektpartner konnten viele neue Erfahrungen im Bereich der jugendpolitischen Bildung sammeln.

Das A&O bei der Organisation eines solchen Projektes ist die Zusammenarbeit mit den Projektpartnern. Unser Europäisches Netzwerk St. Marienthal ist die Grundlage für unsere herausragende Koordination der Projekte. Wir alle wollen uns auch zukünftig im Netzwerk St. Marienthal beteiligen.

Zu einer erfolgreichen Jugendbegegnung gehört nicht nur, dass sich die Jugendlichen austauschen und anfreunden, sondern auch dass die Kooperation der Projektpartner gestärkt und gefördert wird.

Eine letzte Frage: Was war für Sie das Besondere an dieser Jugendbegegnung?

Es ist immer wieder schön zu sehen, wie die Jugendlichen in den Workshops aufgehen und sich aktiv und kreativ  beteiligen. Besonders war, dass zwischen den Jugendlichen keinerlei Kontaktängste herrschten. Alle wussten, dass sie wegen des kulturellen Austausches teilnahmen und suchten deswegen ständig den Kontakt zu den Jugendlichen aus anderen Ländern. Keine Gruppe blieb unter sich, und wirklich niemand wurde ausgegrenzt. Das Interesse an der Lebensweise und der Kultur der anderen Jugendlichen war sehr hoch.

Besonders schön war es, als einige Jugendliche berichteten, dass sie nun zum ersten Mal mit einer geflüchteten Person gesprochen hätten, und dass sie diese Menschen nun in einem komplett anderen Licht sehen als zuvor. Es war auch interessant zu sehen, wie diverse Sprachbarrieren auf kreative Art und Weise überwunden wurden.

---

Weiterführende Informationen

Link: Das Projekt "Europa am Scheideweg" wurde gefördert über die Leitaktion 1 des EU-Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION. Wenn auch Sie solche Maßnahmen durchführen wollen, finden Sie alle notwendigen Informationen auf unserer Programmseite zu Erasmus+ JUGEND IN AKTION.

Link: Mehr zur Arbeit des Internationalen Bildungszentrums Sankt Marienthal finden Sie hier...

Öffnet die Seite zum Drucken in neuem Fenster