JUGEND für Europa: Frau Gajewski, acht Tage waren Sie mit Ihrer Gruppe in Norwegen. Worin lagen aus Ihrer Sicht die besonderen Herausforderungen?
Kristina Gajewski: Die Herausforderungen der Reise lagen vor allem in der neuen Umgebung, neuen Menschen und der Kommunikation in verschiedenen Sprachen (Norwegisch, Gebärden, Englisch).
Unsere Bewohner benötigen ja klare Strukturen, um ihren Alltag trotz ihrer geistigen Behinderung möglichst selbständig bewältigen zu können. Jeden Tag mussten sie sich auf für sie neue und ungewohnte Gegebenheiten und Anforderungen einstellen: bei den Workshops etwa, bei einem Radioauftritt oder beim gemeinsamen Kochen.
Auch für Sie eine besondere Anstrengung?
In der Tat: 24-Stunden-rund-um-die-Uhr Betreuung, dazu die Dolmetscherfunktion – das geht schon an die Substanz. Es hat sich aber für alle sehr gelohnt.
Welche Aktivitäten standen denn auf dem Programm?
Für jeden Tag waren zwei Programmpunkte geplant, einer vormittags, einer nachmittags bzw. abends. Am ersten Tag haben wir erst mal die Häuser kennengelernt, in denen wir wohnten.
Am zweiten Tag begannen die Workshops. Da ging es unter anderem darum, neue Gebärden kennenzulernen und auszuprobieren. Abends saßen deutsche und norwegische Partner zusammen, um Kontakte herzustellen. Am vierten Tag hat unser Gebärdenchor gemeinsam mit einer norwegischen Band geprobt. Schließlich dann das gemeinsame Konzert.
Zwischen den Aktivitäten wurde eingekauft, gekocht und ausgeruht.
Ein volles Programm also?
Ja. Aber wichtig war uns immer, das "Leistungsvermögen" des einzelnen im Blick zu haben. Ist er noch konzentriert? Braucht er jetzt Ruhe? Da haben wir schon sehr drauf geachtet.
Wie lief die Verständigung denn genau ab?
Viele der norwegischen Teilnehmer sind gehörlos, die Kommunikation wurde über deutsche und norwegische Gebärden gesichert. Unsere Bewohner verständigten sich mit Händen und Füßen und lernten Gebärden. Die Kommunikation lief taktil, auditiv, visuell, über Aufmalen, Aufschreiben und ersten Versuchen in englischer und norwegischer Sprache.
Für unsere Teilnehmenden mit und ohne Behinderung war es ein einzigartiges Erlebnis, in verschiedenen Sprachen zu kommunizieren und sich trotzdem verständigen zu können. Für die Betreuer war es teilweise schwieriger, die sprachlichen Barrieren und ihre eigenen Hemmungen zu überwinden. Aber alle sind gerade an dieser Kommunikation über verschiedene Sprachen und Kommunikationswege gewachsen.
Die Kommunikation verlief also...
...von der deutschen Gebärde in die deutsche Lautsprache, vom Deutschen ins Englische, vom Englischen ins Norwegische und von der norwegischen Lautsprache in die norwegischen Gebärden.
Wie war die Arbeit in den Workshops organisiert? Welche Ergebnisse wurden erarbeitet?
Am zweiten und dritten Tag unserer Reise arbeiteten wir in verschiedenen "Stationen" (z.B. Schreinerei, Weberei, Holzverarbeitung, Schule, Bauernhof, Wohnhäuser, Internat). Alle Teilnehmer waren aufgeteilt in 4-5er Gruppen und absolvierten an zwei Tagen jede Station. So lernten die Jugendlichen die Arbeits- und Lebensprozesse kennen, konnten sich selbst ausprobieren und immer wieder in Kontakt mit unseren norwegischen Freunden treten. In jeder dieser Situationen wurden bekannte Gebärden eingesetzt und neue Gebärden erlernt.
Welche Dinge haben besonders gut geklappt, wo sehen Sie im Nachhinein noch Verbesserungsbedarf?
Das Motto unseres Projektes "Kommunikation ohne Grenzen" ging voll auf. Alle Beteiligten in Deutschland und Norwegen standen sich gegenseitig mit guten praktikablen Ideen und großer Initiative zur Seite. Alle Partner - ob Reisebüro, Fluggesellschaft, Signo, Busunternehmen oder Supermarkt - waren in hohem Maße verständnisvoll und kooperativ.
Verbesserungsbedarf sehen wir lediglich im Beantragungsprocedere. Die Beantragung bei der EU ist sehr bürokratisch und für Unerfahrene erst einmal schwer zu durchschauen.
Mit welchen Reaktionen sind die Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderung nach Hause gefahren?
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigten im gesamten Verlauf der Reise eine hohe Motivation, die Anstrengungen zu meistern und sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Dies hat sie in der einen Woche sehr reifen lassen. Unsere Betreuten haben ja eine geistige Behinderung. Einzelne haben noch zusätzlich eine Hör- oder / und Sehbeeinträchtigung oder eine körperliche Beeinträchtigung..
Bei ihrer Ankunft in Berlin waren sie ermüdet und erschöpft, aber voller Begeisterung und Stolz über ihre eigenen Fähigkeiten. Die wichtigste Erfahrung war, dass die Behinderung nicht im Vordergrund steht, sondern jeder einzelne Mensch mit seinen Ressourcen (Yes – I Can). Es ging also um "Empowerment" – und das hat jeder mit intensiver Begleitung und Unterstützung nutzen können.
Wie können Ihre Jugendlichen in der internationalen Jugendarbeit denn weiter besonders gefördert werden?
Genau durch solche Aktionen. Davon wünschen wir uns noch viel mehr – auch über die Altersgrenze 13 bis 30 hinaus.
Wir beurteilen Sie die Nachhaltigkeit der Jugendbegegnung? Gibt es Folgeaktivitäten?
Auf Grund der positiven Erfahrungen ist bei jedem Einzelnen eine Entwicklung vorangetrieben worden, die sie im Alltag nutzen können.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind selbstbewusster, sie trauen sich mehr zu, sind dadurch selbstständiger. Sie reden bei ihren Angelegenheiten mehr mit, fragen nach, entwickeln ihre Meinung dazu. Sie setzen Gebärden selbstverständlicher ein und wundern sich nicht mehr über die verschiedenen Sprachen. Sie entwickeln neue Ziele, wie: "Ich möchte englisch lernen". Und um diese Entwicklung zu unterstützen, haben wir die norwegischen Freunde nach Berlin eingeladen, um das Projekt fortzuführen.
Worauf ist aus Ihrer Sicht bei einer Jugendbegegnung mit Jugendlichen mit "special needs" besonders zu achten?
Wichtig sind die Auswahl des geeigneten Transportmittels, ausreichend Personal und die genaue Planung jeder einzelnen Aktivität. Aber auch Ruhephasen, konstante Punkte im Tagesablauf (z.B. Mittagsruhe, Mahlzeiten), feste Ansprechpartner und die räumliche Bedingungen (genug Platz für alle – maximal Doppelzimmer, großer Wohnraum, große Küche) spielen eine wichtige Rolle. All das hat hervorragend geklappt. Dafür möchten wir uns noch mal bedanken.
(Das Interview führte Marco Heuer im Auftrag von JUGEND für Europa.)
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Weiterführende Informationen
Die von der DRK Berlin Südwest gGmbH beantragte Jugendbegegnung wurde gefördert über das EU-Programm Erasmus+ JUGEND IN AKTION.
Mehr zum Angebot des DRK Berlin Südwest gGmbH finden Sie hier...